Trachtenkunde

Die Schaumburg-Lippischen Trachten

 

Wo Trachten noch zu sehen sind.

 

Wenn man vor 30 Jahren mit dem Auto von Minden nach Hannover auf der Bundesstraße 65 fuhr und dabei das Schaumburger Land durchquerte, sah man in den Dörfern rechts und links der Straße immer wieder Frauen in ihrer Tracht. Es waren meist ältere Frauen, die diese bäuerliche Kleidung noch trugen. Die Tracht ist heute aus dem Straßenbild verschwunden. Vorgeführt wird sie nur noch bei Trachten- und Dorffesten, wie bei uns in Cammer beim Erntefest. Dann aber wird diese bäuerliche Tracht mit berechtigtem Stolz getragen, da sie wohl die schönste in Norddeutschland ist.

 

In Schaumburg-Lippe gibt es drei Trachten, die sich wie folgt unterscheiden:

 

  • Die Friller Tracht,

die in den sechs ehemaligen Dörfern des Kirchspiels Frille - Frille, Wietersheim, Cammer, Aminghausen, Leteln und in der selbständigen Kirchengemeinde Dankersen - getragen wurde.

  • Die Bückeburger Tracht (die Westertentracht) und
  • die Lindhorster Tracht (die Häger- und Östertentracht).

In der Seeprovinz und im südlichen Bereich von Schaumburg-Lippe waren diese Trachten nicht vertreten.

 

Zur Geschichte der Schaumburg-Lippischen Trachten

 

Die Schaumburger Trachten gehen in ihren Grundformen auf die niederländische (spanische) Mode zurück, wie sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts getragen wurde. Zum Beispiel läßt sich die "Mühlsteinkrause"-auch wenn der Kragen in Frille schmal und plissiert ist- auf diese Zeit zurückführen. Auf Bildern der holländischen Maler Rembrandt, van Dyk und Rubens kann man dies heute noch miteinander vergleichen.

 

Aus jener Zeit wurden die schweren Stoffe beibehalten, während sich die Schultertücher und die Halbärmel mit der Mode des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelt hatten. Zu allen Zeiten wirkten die Trachten wohlhabend, in ihren Formen jedoch einfach und maßvoll.

 

Nach der Reichsgründung 1870/71 setzte eine durch das Fürstenhaus unterstützte und geförderte Trachtenpflege ein. Die Folge dieser heimatpflegerischen Betreuung war eine bis dahin nicht gekannte Prachtentfaltung. Die Mützen wurden höher, die Bänder breiter und länger und die Schleifen wurden größer und steifer getragen; die Stickereien wurden kostbarer, die Bernsteinperlen dicker, und aus der kleinen Hemdspange entwickelte sich ein großer Brustschmuck. Bei aller Üppigkeit blieb aber die Tracht stets gediegen und im Kirchspiel Frille bescheidener als in den Kirchspielen von Bückeburg und Lindhorst.

 

Bis zum heutigen Tage ist sie Ausdruck bäuerlichen Brauchtums. Wenn - vor allem unsere Frauen - am Erntefest die Schaumburger Tracht einmal im Jahr vorführen, so überträgt sich auf den Zuschauer und Betrachter die Würde, die von dieser bäuerlichen Volkstracht ausstrahlt.

 

Fotos: Arbeitstracht, Sonntagstracht, Festtagstracht (v.l.n.r)

 

Die Männertracht

 

Die regionalen Unterschiede zeichnen sich nur in der Frauenkleidung ab, während die Männertracht in ganz Schaumburg-Lippe fast einheitlich ist. Das Hauptstück ist der lange, leinene, weiße Schoßrock, der im oberen Teil mit rotem Wollflanell oder rotem Leinen gefüttert ist. Er hat einen niedrigen, aufrecht stehenden Kragen und eine große Anzahl kleiner halbkugeliger oder etwa markstückgroßer silberner oder goldener Knöpfe. Zum weißen Hemd gehört ein zur Schleife gebundenes Halstuch. Der Schoßrock wird offen über der Weste getragen.

 

Die Weste ist hochgeschlossenen und dunkel-gemustert, versehen mit zwei Knopfreihen, welche buntumsponnen sind; bei der Friller Tracht werden diese Knöpfe außerdem noch kunstvoll bestickt.

 

Die Kniehose gehörte nie zur Friller Tracht. Es wurde hier die einfache, lange schwarze Hose getragen.

 

Die Kopfbedeckung bestand aus einer runden mit Iltisfell gefütterten Pelzmütze.

 

Zur Kirchentracht trug man einen schwarzen, mit rotem Tuch gefütterten Rock und einen flachen, steifen Hut mit breiter Krempe. Dieser Hut war mit einem schwarzen Samtband umzogen, das an der einen Seite in einer Schleife herunterhing.

 

 

Die Tracht der Konfirmandin

 

Die Kirchgangskleidung war farbig: zu ihr gehörten der rote Rock, das Schultertuch mit großflächigen Stickereien und die Schürze. Sie wurde das erste Mal bei der Konfirmandenprüfung getragen und deshalb auch "Vörstellungsdracht" genannt.

 

In Abendmahlskleidung ging das Mädchen zum ersten Mal bei der Konfirmation. Zu dieser Ausstattung gehörten ein schwarzer Wandrock (dat Want = Tuch) und dazu passend Leibchen und Wams in schwarz. Ferner wurde ein Schultertuch aus weißem Tüll, eine weiße Schürze und ein doppelter weißer, plissierter Halskragen getragen. In Bückeburg und Lindhorst hatte man statt dessen die weiße Halskrause . Die Konfirmandin trug die blaue Mütze, das Zeichen der Jungfräulichkeit.

 

 

Die Frauentracht

 

Es ist die "Sonntagsgarnitur", die mit ihrem Reichtum und der Pracht ihrer künstlerischen Ausgestaltung den Ruhm der Schaumburger Tracht begründet hat. Sie wurde zum Kirchgang in "Freudenzeiten" getragen. Hierzu gehört der weite rote Rock aus schwerem Tuch.

 

Der Wadenrock, der am unteren Saum mit breitem, farbig gemustertem Samtband besetzt ist, ist in Frille mit hellblauem Band versehen. Den unteren Abschluß des Rockes bildet die "Besenlitze".

 

Von dem unter dem Mieder getragenen Wams werden nur die Ärmel sichtbar; in Frille bis zur Hand reichend, in Bückeburg und Lindhorst ellbogenlang. Den Unterarm umschließen die "Händschen", das sind vom Ellbogen bis zur Handwurzel reichende, eng anliegende Stutzen, die aus weißem oder farbigem Garn in verschiedenen Mustern gestrickt sind.

 

Bei der Sonntagstracht trägt die Bäuerin Händschen mit prächtigen Perlenmustern, die nicht aufgenäht, sondern hineingestrickt sind. Trotz der langen Ärmel gehören in Frille solche Stutzen auch zur Tracht und werden hier "Mauen" genannt.

 

Der Sonntagskragen - die Mühlsteinkrause - ist ein besonderer Schmuck. Die Breite eines solchen Kragens, in kunstvoller Weißstickerei gehalten, kann 25 cm betragen. In Frille ist es ein doppelter weißer, plissierter Halskragen.

 

Weitere Prachtentfaltung bekundet sich in den Stickereien, die sich im Schultertuch, bei den Schürzen der Lindhorster Tracht, im Halstuch und im Mützenboden finden. Bis zu den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts gehörte ein gesticktes Schultertuch zu allen drei Trachten, danach ging die Friller Tracht zu gestrickten oder gehäkelten Tüchern über.

 

Das Halstuch - auch Schlips genannt - ist ein schmales Band, das in zwei breite, gestreifte Platten in rhomboider Form ausläuft, die reich gestickt sind. Die untere Kante ist mit Spitze oder Fransen abgeschlossen. Zur Sonntagstracht gehört auch die Schürze. Von besonderer Buntheit sind die Schürzen bei der Lindhorster Tracht, während die Bückeburgerinnen und Friller Bäuerinnen sich mit schlichteren Farben begnügen. Beim Friller "Binnewams", einem kurzen, ärmellosen Leibchen, fallen die hierzugehörenden, mit bunten Blumenranken durchwebten Bänder auf die Schürze herab. Sie unterstreichen die für diese Tracht typisch hochgezogeneTaille. Die Stickerei im Rückenteil des "Binnewamses" gleicht dem Muster der Bänder, des ausgenähten Tuches und des Schultertuches.

 

Die Mütze, die zur Sonntagskleidung gehört, heißt in Schaumburg "Bindkenmüsse". Bei unseren drei Trachten sind es Bandmützen aus schwarzem Seidenband, die einen gestickten Mützenboden umschließen.

 

Die Lindhorster Mütze steht steil aufrecht über der Stirn, hat also eine Höhe, die durch die Breite des Bandes gegeben ist. Eine gewaltige Schleife fällt auf den Rücken, wobei die Schleifenbänder bis zu den Kniekehlen hinabreichen.

 

Die Bückeburger Mütze ist am auffallendsten. Ihre Schleifen haben eine Spannweite von 70 cm, sie stehen steif und röhrenförmig ab. Zu ihrer Fülle an Band trägt das "Bindken" bei, das hier besonders große Formen angenommen hat. Das gestickte Teil über der Stirn, "Plitt" genannt, ist mit Perlen bestickt und wirkt wie eine Krone.

 

Bei der Friller Mütze ist die Entwicklung des "Bindkens" umgekehrt verlaufen. Das gestickte Stirnstück ist zu einer Miniaturform zusammengeschrumpft. Als schmaler, farbiger Streifen ist dieses Stück an der Mütze eingenäht. Die Schnebbe, die Spitze zur Stirn hin, ist nur noch angedeutet. Das Band ist in Frille um die Mütze garniert, so daß zwei Zipfel tütenförmig - "Nücken" - nach oben stehen.

 

Heutzutage sind die Bernsteinketten, die taubeneigroßen "Krallen" mit den silbernen Halsschließen, nahezu verschwunden. Geblieben sind nur die Ohrringe, die aber nicht an den Ohrläppchen befestigt, sondern in dem Mützenband mit großen Klammern festgehakt werden.

 

 

Die Abendmahlstracht

 

Die Tracht der Ledigen konnte man von der der Verheirateten durch die Mütze unterscheiden. Jungfrauen trugen eine hellblaue Mütze, während den Verheirateten eine schwarze Mütze zustand.

 

Wie bereits oben erwähnt war der Rock schwarz, das Schultertuch und der Kragen weiß. Später ist die weiße Schürze durch eine schwarze abgelöst worden.

 

Die Abendmahlskleidung wurde zu allen hohen Zeiten des Kirchjahres getragen, so am ersten Feiertag zu Weihnachten, zu Ostern und zu Pfingsten. Am Karfreitag und am Buß- und Bettag war die Abendmahlskleidung für die Trauerzeit vorgeschrieben.

 

Bei der Trauerkleidung stimmten alle Einzelheiten in den Schwarz-Weiß-Farben überein, doch fehlte bei der Trauer jede Zier an Stickerei, nur ungemusterte und schlichte Weißwäsche war gestattet, sowie glanzloser schwarzer Stoff.

 

Außerdem ist zu erwähnen, daß die Frauen und Mädchen in der Abendmahlstracht beerdigt wurden.

 

Zum Schluß

 

Die Trachten gehören der Vergangenheit an. Deshalb gilt ein Dank allen Trachtengruppen, die sich der Überlieferung und des Brauchtums verpflichtet fühlen, die die alten Tänze auf Heimat- und Erntefesten vorführen und die beeindruckend schönen Trachten vorzeigen.

 

Das feste Gefüge einer "Kleiderordnung" gab den Menschen auf dem Lande Halt und war ihnen eine Lebenshilfe zugleich. Was die Trachten betrifft: "Jeder wußte, wie er sich zu jeder Gelegenheit zu kleiden und somit auch zu verhalten hatte!"

 

(Willi Knoop / Erhard Saecker / 1996)

 

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